Konzert
Filter
Freundliche Wut und kontrolliertes Rasen
Richard Patrick gastiert mit seiner vielseitigen Truppe Filter im Wangener LKA
Von Ulrich Bauer
Ist das wirklich das Auftreten eines argen Wüterichs? Nach allen Seiten bedankt sich der Mann für das werte Erscheinen, betont, dass er Stuttgart liebe und überhaupt das ganze Germany auf das Herzlichste gern hat... Vielleicht ist dieser Richard Patrick einfach ein routinierter Showmann, vielleicht aber ist er nur richtig gut aufgelegt. So etwas steht einem Musiker, der bei den amerikanischen Depressions- und Wutrockern von Mine Inch Nails seinen Beruf gelernt hat, ja auch einmal zu.
Doch diese wohl nicht ganz einfache Erfahrung ist ja nicht das einzig Schlimme, was dem freundlichen Manne widerfahren ist. Als er sich endlich mit seiner eigenen Band Filter selbstständig gemacht hatte, als 1995 mit „Short Bus" auch gleich noch ein Bestselleralbum gelang, da liefen ihm – o böse Welt! - prompt seine Musiker und auch gleich noch die Freundin davon. Pech in der Liebe, Glück im Spiel?
Die Welt scheint nun jedenfalls wieder in Ordnung für ihn, und Filter spielt beim Konzert im Wangener LKA fast in der alten Besetzung auf. Nur der fähige Schlagzeuger Steve Gillis ist neu im Quartett und treibt den Motor der Kapelle im wuchtigen und gleichzeitig ungewöhnlich runden Viertakt. Ob ihm die mal dezent, mal dominant eingespielten elektronischen Sequenzen das Gerüst für seine treibenden Rhythmen liefern? Stellenweise ist kaum zu unterscheiden, was flinke Techniker vom Band ins Geschehen einspeisen und was- die Band live auf der Bühne passieren lässt.
Doch eigentlich ist´s egal, denn auf der Bühne ist genügend menschliche Wildheit, die sich mit dem kontrollierten Furor der Maschinen zu einem fulminanten Klangbild verbindet. Industrial, Grunge, Alternative: Filter lassen all diese Etiketten hinter sich und zelebrieren einen vitalen, zeitgemäßen Rock, der einerseits dank der brachialen Gitarre sehr roh wirkt und andererseits viel Platz lässt für Dynamik, für eine ungekünstelte Dramatik der Gefühle und Akkorde.
Neben all dem kontrollierten Rasen des geschundenen Frontmannes Patrick ist nämlich Spielraum für Melancholie, die sich in brüchigen Passagen ausbreitet, um dann manchmal in relativ eingängige, die Spannung lösende Refrains zu wechseln: genug von dem explosiven Stoff, der den Rock ´n´ Roll immer schon getrieben hat, der ihn vor einer in diesem Genre leider oft gehörten Monotonie bewahren und selbst den rabiatesten Krach zur Wonne machen kann. Nahtlos reihen sich so die Songs des neuen Filter-Albums „Title Of Record" ins Repertoire und fügen sich schließlich zu einem Klassekonzert, das trotz eines enormen Schalldrucks noch viel länger hätte dauern dürfen. stuttgarter zeitung 22.01.2000