Konzertarchiv

Sa 11.03.1995 |

Bear Musik Days

Mehrtägiges Hauskonzert der Bärenkinder

Von brav bis schrill: der Auftakt der „Bear Music Days" im LKA Wangen

Insgesamt 19 Bands und Bandprojekte -überwiegend aus dem Stuttgarter Raum -betreut Andreas „Bär" Läsker jetzt als Kopf der Agentur „Bear Music Factory", die er in den letzten beiden Jahren auf dem Erfolg der Fantastischen Vier aufge­baut hat. Um seine Schützlinge alle einmal um sich zu versammeln und der Öffent­lichkeit in einer Art mehrtägigem Haus­konzert vorzustellen, veranstaltet Läsker seine „Bear Music Days".

Eine Panne leitete den ersten Tag im LKA ein: weil die Verstärkeranlage nicht rechtzeitig eingetroffen war, konnte die Veranstaltung erst mit zweistündiger Ver­spätung beginnen. Aufgrund der zu langen Umbaupausen dauerte sie dafür dann et­was länger: bis in die frühen Morgenstun­den erklang „Bärenmusik" für die rund 500 Besucher, deren Zahl sich zu fortge­schrittener Stunde deutlich reduzierte. Die Düsseldorfer Band P. Whips bot zum Auf­takt eine gut gemeinte Mischung aus Funk, Rock und Hiphop, die Kenner Crossover nennen. Vom Sextett The Crown war bisher in Stuttgart noch nicht viel zu hö­ren. Im LKA spielte es melodiösen Gitar­renpop, dessen Struktur schon das Pro­grammheft recht zutreffend beschrieb: „Die Arrangements lassen schon beim er­sten Hören ein Gefühl aufkommen, als hätte man die Songs schon mal irgendwo gehört." Tatächlich schon oft gehört hat man in Stuttgart Coalminer´s Beat, die sich als „schwäbische Pogues" profiliert haben und mit neuem Schlagzeuger und einer neuen CD in der Tasche nun etwas härter klingen als früher. God´s Favorite Dog beschlossen mit modisch gestricktem HipHop den ersten Tag.

Fritten & Bier nennt sich ein Duo, das mit drei Mitspielern und pubertärem Hu-

mor den zweiten Abend einleitete. Titel wie „Mundgeruch" oder ein fünfmal hinterein­ander gespieltes zehnsekündiges Werk konnten allenfalls ein leicht belustigtes Gähnen provozieren. Das Duo Megajoint mit Florian Dauner und Knut Knutson machte seine Sache viel besser, aber dafür kürzer: vom intelligent in Pop verpackten Hiphop hätte man gern mehr gehört. Das Duo The Free gefiel sich mit profillosem

Disco-Stampf. Sänger Charles Simmons deutete immerhin an, daß er sich hier weit unter Wert verkauft. God´s Groove nennt sich das Trance-Techno-Duo, das sich an diesem Abend halbiert präsentierte: Ta­stenmann Felix Gauder lag mit gebroche­nem Bein im Krankenhaus, wurde aber auf der Bühne kaum vermißt, da seine Techno-Maschinen meistens ohnehin auto­matisch laufen. Ulrich Bauer stuttgarter zeitung 15.03.1995

Ist es normal, weil alle es tun?

Die Fantastischen Vier und viele andere bei den Bear Music Days

Der erste Blick auf jeden Neuankömmling im nicht ganz vollen LKA streift den Brusttaschenbereich. Wer dort nicht den Backstage-Paß kleben hat oder wer nicht wenigstens die Fantastischen Vier auf dem Balkon per Zuruf begrüßen kann, muß sich am letzten Tag der Bear Music Days als Außenseiter fühlen. Was als Festival der Fans vielversprechend begann, endet schließlich doch als Promi-Party.

Auch die Dramaturgie des Abschluß­abends nimmt wenig Rücksicht auf das ge­meine Popvolk. Die Umbaupausen sind diesmal sogar noch länger als zuletzt. Au­ßerdem: Welcher Teenie kann schon bis Mitternacht auf seine Lieblingsband war­ten? Und welcher Fan der Fantastischen Vier nimmt es in Kauf, sich vorher eine Melodie Rock Band wie Kunos´s Mother anzutun? Das Gemischtwaren-Syndrom greift sogar auf die Gruppen im einzelnen über. Die Farmer Boys etwa vermischen brettharten Seifmade-Rock mit Cover-songs zum Beispiel von den Electro-Poppern Depeche Mode.

An Kuno´s Mother und ihrem melodie-und keyboardlastigen Breitwandrock vor allem scheiden sich die Geister. Viele fra­gen sich, ob das Sextett, das sich stilistisch

nicht so recht zwischen Funk, Hardrock und Schnulze entscheiden will, wirklich länger spielt als die anderen Bands, oder ob einem das nur so vorkommt.

Gewohnt kurzweilig dagegen die Fanta­stischen Vier, die jetzt, wo ihr kommerziel­ler Höhenflug vorbei ist, wieder im Frei­flug experimentieren können. Nach der Kooperation mit einer Metallband, ge­nannt Megavier, stehen sie im LKA ge­meinsam mit den Hamburger Acid-Jazzern Disjam auf der Bühne. Und sie geben sich gewohnt souverän als Vorreiter einer Entwicklung im HipHop, die von seiner al­ten Erscheinungsform nur die satten Groo-ves und die rasenden Reime übrigläßt, an­sonsten aber von der Sampletechnik zu­rück zu handgemachter Musik findet. Dis­jam erweist sich als fähige Funkband, deren Gitarrist eine halbakustische Jazzgi­tarre mit den richtigen Riffs zu spielen weiß. Nur in wenigen Stücken, etwa einem brandneuen vom im August erscheinen­den Album, wendet der Fanta-DJ Haus­meister die Scratch-Technik an. Die Stutt­garter stellen sich lässig die rhetorische Frage: „Ist es normal / nur weil alle es tun?" - und geben uns die überzeugend ab­schlägige Antwort. Michael Riediger Winnender Zeitung 18.03.1995

Die „Bear Music Days" im Longhorn

Der Fan ist König

Das ganze Spektakel ist derart professio­nell aufgezogen, daß kaum etwas schief ge­hen kann, selbst wenn mal eine der 20 auf­tretenden Bands patzen sollte: Nach den Konzerten im Rahmen der „Bear Music Days" sind Musiker, Manager und Publi­kum eingeladen, in der Discothek „Music land" weiterzufeiern. Für den Transport zur „After-Gig-Party" stehen Busse bereit. Der Fan ist König.

Der Stuttgarter Popmanager Andreas „Bär" Läsker und seine Bands wollen ihre Nabelschau gebührend feiern. Noch heute, Mittwoch, und am Donnerstag stellen sich Musiker aus Läskers „Bear Music Fac-tory" dem Publikum. Wenn man sich die Besetzung des Festivals im LKA/Long­horn anschaut, so kann man die Bear Mu­sic Days getrost als Stuttgarter Leistungs­schau, als Musikmesse einstufen.

Felix Retter,. Sänger des Sextetts „The Crown", beschreibt den Eröffnungsabend des fünftägigen Band-Marathons: „There´s a magic atmosphere, and I can feel it!" Für die zauberhafte Stimmung tut seine Band ihr Möglichstes: eingängige Melodien, viel Keyboards, nett, aber nicht aufregend. Nur das Stück im angesagten Crossover-Stil hätten sie sich besser sparen sollen, es paßt nicht zum melodiösen Rock der Band.

Vorher hatte das Quartett „P-Whips" ge­zeigt, wie Rap a la „Beastie Boys" klingen muß: hart und dennoch vielschichtig.

Als Thomas D. von den „Fantastischen Vier" in der Rolle des arroganten Modera­tors die Band „Coalminer´s Beat" ankün­digt, hofft mancher auf sanfte Töne. Aber die Kornwestheimer Folkies passen sich der Crossover-Partystimmung an. Zwar spielt das Septett vorwiegend alte Stücke, arrangierte sie aber deutlich rhythmusbe­tonter, härter eben. Die Melodien lassen sich lautstärkemäßig oft nur schwer durchsetzen. Insgesamt wirken die „Mi­ners" ruppiger als gewohnt.

Als letzte Band hielt am ersten Tag „God´s Favorite Dog", eine Düsseldorfer Crossover-Truppe, bis nachts um 2.30 Uhr durch. Und so ging bereits der erste Abend der fünftägigen Leistungsschau rekordver­dächtig spät zu Ende. - Heute, Mittwoch, spielen ab 20 Uhr wieder vier Bands: Migraine, Valenteano, Charles Simmons und Judas Diary. Michael Riediger Stuttgarter Nachrichten 15.03.1996

Zwischen eigenem Stil und gängigen Klischees

Nach mancherlei Pannen: Abschluß der „Bear Music Days" im LKA

Von einer technischen Panne überschattet, hatten die „Bear Music Days", die Schau der Schützlinge des Stuttgarter Musikma­nagers Andreas „Bär" Läsker, im LKA be­gonnen. Auch der dritte Abend startete mit einem peinlichen Aussetzer: Der Computer streikte und beraubte die Hip-Hop-Forma­tion The Phlow frech ihres instrumentalen Hintergrunds. Nachdem der Fehler beho­ben war, kamen ein paar flotte Rap-Stücke zum Vorschein. - Mit einem beachtlichen und vielversprechenden Auftritt über­raschte die blutjunge Stuttgarter Band Amber Street, in deren Stücken fast schon zart-lyrische Passagen mit wütendem Krach dynamisch wechseln und einen ei­genen Ton abseits der gängigen Grunge-Klischees verraten. - Vier Jahre lang stan­den die beiden Bietigheimer Synty-Popper Marcus Meyn und Heiko Maile von Ca­mouflage nicht mehr auf einer Bühne. Im LKA knüpften sie, zum Quintett verstärkt, nahtlos an die mäßigen Live-Vorstellungen

vergangener Zeiten an: eine Weiterent­wicklung war kaum zu erkennen.

Der vierte Tag des Bärenmusik-Festivals bot in Migraine ein Trio, das interessante Klänge aus dem musikalischen Niemands­land zu spannenden Song-Miniaturen auf­bereitet. Valenteano aus Wiesbaden dage­gen fischt im Hauptstrom der Popmusik nach dem eigenen Stil und mischt gängige Klischees. Auch manche der Songs von Charles Simmons hatte man schon einmal gehört. Wie der Sänger aber zusammen mit einer exzellenten Band seihe Funk-, Soul- und Jazz-Mischung, umsetzte, das hatte unbestreitbar Klasse. Judas Diary aus Irland beschlossen mit elektrifiziertem Irish Folk den vierten Tag.

Nahezu alle, die sich in der örtlichen Rockszene wichtig fühlen, hatten sich zum Finale der „Bear Music Days" eingefun­den. Die Stuttgarter Formation Mink Stole empfahl sich mit einem Auftritt, der An­klänge an Nirvana erkennen ließ. Die Farmer Boys hingegen stehen mit ihrem lau­ten Schroff-Sound in der Nachfolge von Bands wie Metallica. In der Rolle des wü­tenden Dunkelmanns allerdings überzeugt Sänger Matthias Sauer noch nicht. Kuno´s Mother wiederum hören sich wie eine ver­spätete Provinzversion von Spandau Ballet an - ölig-eingängige Melodien, die aber nicht im Gedächtnis bleiben.

Den abschließenden Höhepunkt der „Bear Music Days" aber sollte der Auftritt der Fantastischen Vier abgeben, die sich dafür mit der Hamburger Funk-Soul For­mation von Disjam zusammengetan hat­ten. Locker, aber künstlich aufgeblasen wirkten Titel wie „Tag am Meer" oder „Neues Land", die Sprechsänger S.M.U.D.O und Thomas D. auf modischer Acid-Jazz-Unterlage gekonnt umzappelten. Der Versuch des Quartetts, durch ständi­ges Experimentieren Neuland zu betreten, verdient jedoch Respekt. Ulrich Bauer

Sa 11.03.1995
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