Konzertarchiv
Bundes-Rockpreis Landesfinale
Mit Milchschnitten ins Internet
Landesentscheid für den Bundes-Rockpreis im LKA am 13.10.1996
Es ist ein altes Lied: Musikwettbewerbe haben ihre eigenen Gesetze und stellen die Juroren nicht selten vor beinahe unlösbare Aufgaben. Nicht viel anders war es beim Landesentscheid für den Bundes-Rockpreis 1996. Elf Bands aus Baden-Württemberg traten an, um sich für die Bundesentscheidung im Dezember in Sindelfingen zu qualifizieren.
Diese elf Kandidaten sind von 120 Einsendungen im Land übriggeblieben, wie Mitorganisator Nick Kaischer berichtet. Bundesweit seien es gar 1240 Demonstrationsbänder gewesen, die gehört und ausgewertet werden mußten. Viel Arbeit lag also bereits hinter den Verantwortlichen beim Deutschen Rockmusikeryerband, als am frühen Sonntag abend die ersten Kandidaten auf die Longhornbühne traten. Und keine der elf Bands machte es einfach für die Jury, in der so illustre Namen wie Wolle Kriwanek, David Hanselmann, der bekannte Studio-Drummer Bodo Schöpf oder auch Pur-Bassist Joe Crawford zu finden waren.
Auch wenn musikalisch nicht viel Neues geboten wurde: die Auswahl der Bands umfaßte ein weites Spektrum von Ska und Folk-Rock bis hin zu Hardcore. Beinahe alle Bands, allesamt bislang ohne Label, legten ein gehöriges Maß an Professionalität an den Tag, unterstützt freilich von hervorragenden äußeren Bedingungen. So sprach auch Kriwanek von einem „gigantischen Niveau", und alle Juroren waren sich der Schwere ihrer Aufgabe bewußt, als es galt, anhand des Schulnotensystems
und von zehn Wertungskriterien eine Entscheidung zu treffen.
Daß die Wahl letztlich auf die junge Lörracher Deutsch-Rock-Formation „Kicking Edgar Allen Po" fiel, dürfte wohl mehr an deren kindlicher Originalität und verblüffender Unbekümmertheit liegen als an den Milchschnitten, die die zehn Musikerlein ans Publikum verteilt hatten. Mit ihrer Mischung aus banalen Texten (Titelbeispiel: „Du blöde Sau"), Hip-Hop, Ska und ähnlichen Elementen verwiesen sie die Albstädter Formation „Mars Mellow" auf den zweiten Platz und die Ludwigsburger Folk-Rocker von „The Bridge", beide Bands zeitgeistig mit überzeugenden Sängerinnen als Frontwomen, auf den dritten Platz.
Eine tolle Sache war das Ganze aber auch für die leer ausgegangenen Bands, denn Mitveranstalter Volker Kunschner von den Dudes hatte es geschafft, die Veranstaltung live ins MTV-Internet zu bekommen. Fast 10 000 Computerfreaks in der ganzen Welt hatten sich eingeklickt. Begeisterte Rückmeldungen kamen aus den USA, Mexiko, Japan, Hongkong oder auch aus Norwegen. Vielleicht meldet sich auf diesem Wege der eine oder andere Plattenverlag bei einer der Bands. Schließlich hatte vor zehn Jahren die Gruppe „Pur" denselben Wettbewerb gewonnen. Ob „Kicking Edgar Allen Po" einen ähnlich steilen Aufstieg wie die Bietigheimer Pop-Überflieger vor sich haben, darf freilich trotz Internet und Milchschnitten bezweifelt werden. War stuttgarter zeitung 16.10.1996