Konzertarchiv
LACRIMOSA
Dass sich Tilo Wolff noch nie mit Vordergründigem abgegeben hat, ist kein Geheimnis. Somit dürfte es auch nicht wundern, dass hinter dem Namen Lacrimosa mehr steckt, als einfach nur der Name. Für den Lateiner ergeben die Worte lacrimae und mosa den Ausdruck fließende Träne. Für denjenigen, der sich mit Mozarts Werken auskennt, dürfte Lacrimosa auch Erinnerungen an dessen letztes unvollendetes Requiem wecken, welches einen Teil enthält, der mit Lacrimosa betitelt ist. Dieser unvollendete Teil wurde später von Mozarts Schülern abgeschlossen. Der aus Frankfurt am Main stammende Tilo und seine Band Lacrimosa machen zum ersten Mal 1990 von sich reden. Tilo, der eine klassische Ausbildung am Flügelhorn und an der Trompete hinter sich hat und auch was vom Klavierspielen versteht, nimmt in einem kleinen Studio in der Nähe von Basel zwei Songs komplett im Alleingang auf und zeichnet sogar das Cover für das Tape selber. Da er nebenher oben erwähntes Requiem hört, drängt sich ihm der Name förmlich auf. Da er auch in Zukunft so wenig wie möglich aus der Hand geben will, gründet er kurzerhand sein eigenes Label Hall Of Sermon. Über dieses veröffentlicht er ´91 "Angst". Somit hat Tilo zwar von Anfang an alles in seiner Hand, trägt aber auch das komplette Risiko auf den eigenen schmalen Schulten.
Das Experiment gelingt und Lacrimosa haucht der in den letzten Zügen liegenden Gothik Szene neues Leben ein. Was Tilos Musik von Beginn an auszeichnet, sind klassisch angehauchte, schwermütige Melodien in Verbindung mit seinem tragendem Gesang und poetischen Texten, die trotzdem nie an der Realität vorbei ziehen. Mit "Einsamkeit" kann er erstens beweisen, dass es sich mit "Angst" um keine Eintagsfliege handelte und zweitens seine Anhängerschar beträchtlich erweitern. Trotzdem dauert es bis zum 27. 02. 1993, ehe Tilo den Schritt auf die Bühne wagt. Sein erstes Konzert gibt er in Leipzig, durch den Erfolg ermutigt, lässt er diesem bald weitere folgen.
Auf der Tour zum "Satura" Album lernt er die aus Finnland stammende Anne Nurmi kennen, die in seiner Vorgruppe "Two Witches" singt. Anne ist Lacrimosa bis kurz vor der Tour vollkommen unbekannt, doch sie ist schnell von Tilo und seinen musikalischen Visionen begeistert. Es dauert nicht lange und aus dem Ein-Mann-Projekt wird ein gemischtes Doppel. Dass die Zusammenarbeit der beiden bestens harmoniert, zeigt das Album "Inferno", auf dem Anne sowohl gesanglich als auch musikalisch glänzen kann. Die ständige Weiterentwicklung des Charakters Tilo Wolff und seiner Musik verwischt immer wieder scheinbare Grenzen zwischen Klassik, Gothik und Metal. Mit dem Track "Copycat" schaffen die beiden so etwas wie ihre persönliche Hymne. Ebenfalls 1995 kommt das erste Video "The Clips 1993-1995" auf den Markt.
Ein Jahr später erhält Tilo vom Zillo Magazin den "Alternative Rock Music Award". Doch auch die Maxi "Stolzes Herz" bringt eine Überraschung: Zum ersten Mal schafft es ein Song von Lacrimosa in die deutschen Single-Charts. Das Folgealbum "Stille" setzt den auf "Inferno" eingeschlagenen Weg fort und hat einen recht metallastigen Einschlag, ohne jedoch die eigenen Trademarks zu verdrängen. Für die Scheibe greifen Tilo und Anne auf die Hilfe des Barmbeker Symphonie-Orchesters, des Rosenberg-Ensembles und der Deutschen-Lunkewitz-Sängerinnen zurück. Mit dem lange überfälligen "Live"-Album zeigen Lacrimosa, dass sie nicht nur jede Menge klasse Songs geschrieben haben, die live auch deutlich mehr krachen als auf Platte, sie beweisen auch, dass sie die Stücke nicht nur reproduzieren, sondern live auch angenehm verändern.
Für "Elodia" sind nicht weniger als 187 Musiker verantwortlich, unter anderem vom London Symphony Orchestra. Die Platte ist in drei Akte aufgeteilt und behandelt die Konzeptstory vom Auseinanderbrechen einer Beziehung. Die Gitarren gehen auf der Scheibe zwar deutlich reduzierter zur Sache, trotzdem wird man von der schön eingesetzten Orchestrierung zu keiner Zeit erschlagen. Anstatt sich dann in eine musikalische Sackgasse zu manövrieren und sich dem Zwang auszusetzen, solche Orchestrierungen noch toppen zu müssen, besinnt sich Tilo auf seine Stärken als Songwriter und geht die Sache wieder abgespeckter an. Außerdem hat Lacrimosa inzwischen dermaßen an Priorität gewonnen, dass er nicht mehr die Zeit findet, sich entsprechend um andere Bands auf seinem Label zu kümmern. Deswegen hat er die Zusammenarbeit mit einigen beendet.
"Fassade" erscheint 2001 und zeigt, dass es Lacrimosa ein ums andere Mal gelungen ist, längst tot gesagtem Sound neues Leben einzuhauchen, ohne dabei zur peinlichen Selbstparodie zu verkommen. Damit verteidigen sie ihre Ausnahmestellung, die diese Band nun schon seit über einer Dekade einnimmt. Eine Tour mit To/Die/For geht durch Deutschland und scheint sowohl erfolgreich, als auch anstrengend zu sein, denn Tilo beschließt, sich danach erst einmal eine Auszeit zu nehmen. Hall Of Sermon ist inzwischen ausschließlich für die Belange von Lacrimosa zuständig.
Doch schon Mitte/Ende 2002 juckt es Tilo wieder in den Fingern, und der Januar 2003 endet mit der Veröffentlichung von "Echos". Tilo setzt auf dem Album größtenteils auf klassische Instrumente, setzt diese aber nicht wie auf "Elodia" im Überfluss ein, sondern konzentriert sich auf das Wesentliche und schafft damit ein sehr stimmiges, eindringliches Album. Da er sich danach aber doch erst einmal Ruhe gönnen will, stehen momentan keine Touraktivitäten an.