Konzertarchiv
Marillion
Bewährte Kost
Marillion im LKA
Es war die Zeitenwende für die Marillion-Gemeinde, als der charismatische Sänger Fish im Jahre 1988 das Handtuch warf, um dem Schonung Steve Hogarth Platz zu machen. Man war damals ja ohnehin in der Defensive, der gute alte Melodie-Rock der Marke Genesis schien so gut wie erledigt und beerdigt. Ob der neue Frontmann nun taugen würde, einen vernünftigen Doppelgänger des ach so geliebten Peter-Gabriel-Clons Fish abzugeben und dem Zeitgeist trotzig die Stirn zu bieten? Eine bange Frage für Marillion-Fans, die ihre Welt bewegte, ihr Struktur gab und sie erst sinnvoll machte. Doch mittlerweile sind auch sie älter geworden, in der Rockmusik ist wieder alles erlaubt, die Wogen haben sich geglättet, der „neue" Sänger ist einigermaßen akzeptiert. Dank der Routine einer international vermarkteten Rockband gibt es ab und zu sogar ein neues Album wie das jüngst erschienene „Strange Engine" Werk. Es setzt die Reihe der Marillion Aufnahmen so nahtlos fort, daß es auch schon vor zehn Jahren hätte herauskommen können.
Bewährte Kost war also angesagt beim Konzert im LKA. Feinverästeltes Akkordgeflecht mit freundlich gezupfter Gitarre und
behutsam gestreichelten Tasten, eine Rhythmusgruppe mit einfallsreich angezogener Handbremse und ein Sänger, der wichtige Lyrik in musikalisch bedeutungsschwangerem Erzählton vorträgt. Doch Marillions Melodramatik fordert Steigerungen: Besonders Steve Rotherys Gitarre schwoll donnernd
zum Düsenjäger an, um sich freilich jedes mal artig wieder zurückzuziehen ins manierliche Musizieren. Das ist zwar gut gemacht, wird aber durch Wiederholung im Verlauf
des Konzerts immer langweiliger. Und Hogarth? Der nährte alte Befürchtungen, in dem er zwar wie ein japanischer Kampfsportler über die Bühne turnte, von der Stimme
her aber überhaupt nicht gutdisponiert war. Seine schüchtern genuschelten Ansagen provozierten das Publikum gar zu fordernden „Lauter! " Zwischenrufen. Bezeichnend war dies für eine Konzert-Atmosphäre, in der
sich immer mehr das Gefühl aufdrängte, es müsse dringend etwas Einschneidendes passieren. Doch das musikalische Geschehen drehte sich immer weiter um sich selbst: in
der Tat eine „Strange Engine", eine „seltsame Maschine". Üb stuttgarter zeitung 17.10.1997