Konzertarchiv

So 05.11.2000 |

Motörhead

Motörhead hat es im Longhorn krachen lassen wie gewohnt

Von Markus Jacobi

Der Duden weiß, was „böse" heißt. Dort liest man Folgendes: „Moralisch schlecht, nicht gut, etwas aus böser Absicht tun, ein böser Mann, eine böse Frau," Das Wort böse leitet sich aus dem Holländischen ab und bedeutet ursprünglich „aufgeblasen", „geschwollen". Auch hat der „Busen" so einiges mit „böse" zu tun, zumindest was die Herkunft der Wörter betrifft. Die Gruppe Motörhead aber taucht in diesem Zusammenhang nirgends auf. Das ist verwunderlich. Ein Recht darauf hätten die drei Musiker allemal, schließlich haben sie sich mit ihrer Musik etabliert. Und die klingt nun mal fies, laut und böse. Seit über zwanzig Jahren beschallt das krachende Trio die Musikwelt. In diesem Jahr erschien das fünfzehnte Studioalbum „We are Motör­head". Am Sonntag lärmte die Band nun im LKA Longhorn.

Dem Eintrag als Synonym für niedere Instinkte dürfte eigentlich nichts mehr im Weg stehen. „We are the flame at night, the fire in the trash. We are Motörhead, born to kick your ass ..." Das steht auf der Rückseite der neuen Platte geschrieben. Ein riesiger Motorkopf ziert die Bühnenrückwand, als die Band überpünktlich mit dem Konzert be­ginnt. Das LKA Longhorn ist ausverkauft und so voll, dass so mancher Fan nicht einmal mehr die Arme zum Jubeln heben kann. Das ist nun wirklich schade, denn die drei geben sich alle Mühe, die Betonmauern der Lokali­tät zu sprengen. Rock ´n `Roll ist das Zentrum der folgenden hundert Minuten.

Assoziationen, die durch den Speed-Me-tal erzeugt werden, lassen nicht lange auf sich warten. Erst wer einen Ellbogen ins Gesicht bekommen hat, erwacht aus seinem Traum, der irgendwo zwischen Highwayfrei­heit und Höllenromantik spielt: Alle sitzen gemeinsam auf einem rasenden Zug, der ungebremst einen beladenen Tanklaster rammt. Schließlich gehen beide, Zug und Laster, in einem Flammeninferno auf. Denn jeder Song endet in einem explosionsartigen Licht- und Blitzgewitter. Dabei spielt lan „Lemmy" Kifminster seinen Bass etwa im gleichen Tempo wie Philip Campbell ein schnelles Gitarrensolo. Die Musik drückt vor­wärts. Unaufhaltsam und unnachgiebig. „We are Motörhead, born to kick your ass ..."

Eine ganz besondere Atmosphäre herrscht zwischen den Fans und den briti­schen Musikern. Sie frönen derselben Musik, kleiden sich erstaunlich ähnlich und haben alle lange Haare. Im LKA hätte man drei Fans auf die Bühne stellen können, aus der Ferne hätte keiner den Unterschied bemerkt. Diese gegenseitige Identifikation gibt es wohl nur noch auf Metalkonzerten und vielleicht in der Hip-Hop-Szene. Dabei unterscheiden sich Lemmy, Philip Campbell und Mikkey Dee in einigen wesentlichen Punkten doch von ihren Fans. Die Musiker sind älter und böser als das Publikum. Grünes Licht beleuchtet Lem­my vom Bühnenboden aus. Die restliche Bühne ist dunkel. Jede Unregelmäßigkeit und jede Warze im Gesicht wirft gewaltige Schat­ten. Ein Fan trägt wohl eine Devise der Bühneninszenierung auf seinem T-Shirt; „Say you love satan."

Ob man sich Sorgen machen sollte, um diese leicht gebeugte Figur mit nacktem Oberkörper dort oben auf der Bühne? Nein, denn einst sagte Lemmy, er sei immer erst achtzehn, wenn er auf der Bühne stehe. Vorher reißen wohl eher seine whiskygeteer­ten und rauchgebeizten Stimmbänder, die mittlerweile ähnlich undeutlich klingen wie eine Box ohne Hochtöner. Die Songliste im LKA liest sich wie ein Geschichtslexikon. Als Motörhead 1978 die Platte „Overkill" veröf­fentlichte, wurde sie von der britischen Pres­se unisono zur schlechtesten Band der Welt gekürt. Heute spielt sie den Titel triumphal als Zugabe zusammen mit dem Hit „Ace of Spades".

Ewig bleiben wird der Ruf von Motör­head als lauteste Band. Das „ö" im Namen ist übrigens eine rein stilistische Maßnahme. Lemmy sagte dazu einmal, es sehe deutsch aus und somit so schön fies und gemein.

Nach hundert Minuten prasselndem Me-talsound schwören sich alle „Don´t forget Motörhead". Die Fans, die es wirklich ernst meinen, haben schon längst ein leuchtendes Tattoo auf dem Oberarm und stellen es auf der Band-Homepage zur Schau: für die Ewig­keit ein Teil von Motörhead. stuttgarter zeitung 07.11.2000

Wenn es hart auf hart kommt

Tempo, Drive und Dezibel: Motörhead lassen im LKA die Wände wackeln

Von Christoph Wilden . .-

Stuttgart - „Meine Stimme klingt wie die eines bösen, vorchristlichen Schleimmonsters, das aus einem Tümpel in einem englischen Som­mergarten hervorgekrochen kommt!" Recht hat er, lan Kilmis-ter, Gründer und Chef der Heavy Metal-Band Motörhead, der es in ei­nem „Spiegel"-Interview mit die­sem Satz auf den Punkt brachte. Vor 25 Jahren, im Oktober 1975, trat die Band im Vorprogramm von Blue Öyster Cult in London zum ersten Mal auf. Über lange Jahre ein Trio, bestimmten zahlreiche Umbe­setzungen die Motörhead-Geschich-te: Kilmister ist der Band als einzi­ger treu geblieben. Und schon im­mer prägte sein heiseres, bellendes, die Stimmbänder und Publikumsoh­ren gleichermaßen malträtierendes Organ den Sound der Combo, die mit dem Ehrentitel der schlechtes­ten und lautesten Band der Welt ei­ne eingeschweißte Metaller-Ge­meinde um sich versammelte. Im ausverkauften Stuttgarter LKA werden die Jungs, nach dem Vor­spiel der Band Speedealer, schon mit lärmender Ungeduld erwartet. Vereinzelte „Lemmy"-Rufe sind zu hören - so nennen Motörhead-Be-kenner ihren 54-jährigen Meister. Eingefunden haben sich alle, die Spaß dran haben, wenn´s lärmend und aggressiv hart auf hart kommt:

Männer vor allem, ganze Genera­tionen von Rockern mit ellenlangen Nackenhaaren, Kahlköpfe und Le­der-Liebhaber aller Fraktionen. Bier - das gehört zum guten Ton -fließt in Strömen. Kilmister hat schließlich vorgemacht, dass es sich auch mit einer ausgewachsenen Al­koholsucht irgendwie leben lässt. „Born To Kick Your ass" ist das Motto der Band, und Lemmy gibt den Leuten, was sie begehren: Tem­po, Drive und Dezibel, natürlich von allem stets das Maximum. Da­mit werden Motörhead (ein ameri­kanisches Slangwort für Geschwin­digkeitssüchtige) ihrem Namen im­merhin schon seit den siebziger Jah­ren gerecht.

Im Mittelpunkt bei all dem steht Lemmy, der mit Phil Campbell an der Gitarre und Schlagzeuger Mi-ckey Dee allerdings über zwei ex­zellente Mitstreiter verfügt. Immer wieder hebt sich Campbells Gitarre mit längeren Riffs aus dem erstaun­lich kompakten Lärm-Konglomerat hervor und darf zuweilen auch mit Soli glänzen. Selbiges gilt für Dee, der in furiosen Schlagwerkereien beweist, dass er nicht nur wuchtig den Takt hält, sondern auch filigran trommeln kann.

Und Lemmy? Der ackert wie ein Berserker, schüttelt sein schmudde­liges, langes Haar, als wäre nichts gewesen, müht sich redlich am Bass und beeindruckt mit seiner provo-

zierenden Stimme, die - Heiserkeit hin oder her - durchweg präsent ist" und die oftmals nicht zitierfähigen Texte im Spannungsfeld von Hölle, Arsch und Eisenfaust übermittelt. Titel, nur wenige länger wie zwei Minuten, aus allen Alben der letz­ten 25 Jahre sind dabei, angefangen vom Debütalbum „Motörhead" über den legendären Chartbreaker „Ace of Spades" (1980) bis hin zur aktuellen CD „We are Motörhead". Wie selbstverständlich bedient Kil­mister nicht nur Heavy-Metal-Freaks, sondern auch Punk-Fans: Mit dem Sex-Pistots-Klassiker „No Future" als gecoverter Reverenz und wenig später mit einer rothaari­gen Punk-Braut, die zum schrillen Duett herhält.

Irgendwann beginnt die Science-Fiction-Fratze am hinteren Bühnen­vorhang mit grellen Augen ins Pub­likum zu glotzen. Der Saal kocht, Headbanger-Silhouetten wandern durchs verqualmte Szenario, wäh­rend Stroboskopblitze über die Bühne zucken. Fraglos sind Motör­head auf ihre ganz spezielle Art hip, was wohl am rigorosen Nein zum Weichspülen auf der einen und am kompromisslosen Bekenntnis zum Heavy-Metal der rasanten Sorte auf der anderen Seite liegt. „Motörhead sind alt, ich bin alt. Aber unsere Mu­sik bleibt immer jung", hat Kilmis­ter im Interview gesagt. Und damit hat er hoffentlich noch lange recht. esslinger zeitung 08.11.2000

So 05.11.2000
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